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Wallisellen – tierisch unterwegs

Biberalarm an der Glattalbahn

Am 30. Januar 2017 um 10 Uhr 50 trifft auf der Leitstelle der VBG folgende Meldung von Kurs 13 der Linie 12 ein: „Biber fällt Baum und dieser streift Tram mit den Ästen“. Dass Bäume auf Bahntrassees fallen ist etwa bei Sturm nichts Aussergewöhnliches. Da aber laut Klimainformation von Meteoswiss um jene Zeit in der Region trockenes Winterwetter mit bewölktem Himmel und nur schwachem Wind herrschte, musste das Bahnpersonal rasch gemerkt haben, dass hier doch eher Ungewöhnliches passiert war. Und angesichts der deutlichen Frassspuren am Fuss des gefällten Baumes, lag der Biberverdacht nahe. Eine halbe Stunde nach der Störungsmeldung protokollierte die Leitstelle: „Serviceleiter kann Baumstamm von der Strecke räumen. Keine weiteren Störungen.“

Die Medienstelle der VBG hat mir als Ort des Biberzwischenfalls jene Stelle auf dem Streckenabschnitt der Glattalbahn zwischen den Stationen Herti und Auzelg genannt, wo die Bahn nach dem Tunnel unter der Autobahn hindurch über eine Brücke den Brüelbach quert, der hier die Gemeindegrenze zwischen Wallisellen und der Stadt Zürich bildet. Eine am Tatort von einem Bahnmitarbeiter geschossene Foto zeigt neben der Brücke auf der noch mit Schneeresten bedeckten Wiese ein gut zehn Meter langes, schlankes Bäumchen und weit verstreut die hellen Holzschnipsel der tüchtigen Holzfällerarbeit. Biber fällen vor allem im Winter Bäume, um sich von der Rinde und den Knospen der Krone zu ernähren. Im Sommer genügen frisches Gras und anderes Grünzeug.

Um mir selber ein Bild von der Situation zu machen, setze ich mich in Wallisellen in den 12er und fahre Richtung Flughafen. Nach Herti klebe ich am Fenster, um den ominösen Ort nicht zu verpassen. Viel Industrie, lange Zeilen von Wohnhäusern hinter Lärmschutzwänden, eine Wiese mit einem Getreidefeld. Dann der Tunnel und – schwupps – putzige Schrebergärten mit im Wind flatternden Landesfahnen der jeweiligen Kleingrundpächter. Vom Biberbach keine Spur. Da hilft nur anstelle der flinken Glattalbahn der beschauliche Fussmarsch.

Zur Bibersituation im Kanton Zürich hatte ich mich vorher schlau gemacht. Nachdem der Biber um 1800 in der Schweiz ausgerottet worden war, wurden 1958 erst am Flüsschen Versoix in Genf und in den folgenden Jahrzehnten in weiteren Schweizer Gewässern Biber ausgesetzt. Ausgehend von der Thur und dem Rhein, wo man 1977 die letzten Biber ausgesetzt hatte, besiedelte das Pelztier sukzessive auch die Gewässer im Norden des Kantons Zürich. Die jüngste Bestandeserhebung zeigte für April 2017 im Kanton 106 Reviere mit insgesamt um die 400 Tiere, wobei besonders im Einzugsgebiet der Glatt bis zum Greifensee in den letzten Jahren eine starke Zunahme erfolgt war. Dabei nutzt der Biber die doch stark verbaute Glatt vor allem als Migrationsweg und baut seine Wohnhöhlen in den naturbelassenen Uferböschungen der ruhigeren Seitengewässer.

Vom Bahnhof Wallisellen führt ein Wanderweg nach Südwesten zum Naturschutzgebiet Hinterem Grindel. Schon bald tritt man aus dem Industriequartier in eine grüne Oase, wo sich Kieswege zwischen mächtigen Bäumen schlängeln und das Vogelgezwitscher nur von Ferne von Autobahnlärm und Flugzeugdröhnen begleitet wird. Beim grossen Weiher soll eine Biberfamilie hausen. Auf dem Wasser tummeln sich zwar unzählige Enten, von einer Biberexistenz keine Spur. Da hier jedoch der Brüelbach beginnt, entschliesse ich mich, dem Bach auf seinem Weg westwärts zu folgen. Um irgendwo hoffentlich doch noch Biberland zu entdecken.

So wandere ich entlang dem Gewässer, das kaum zwei Meter breit nur von einem schmalen Waldsaum beschattet durch Felder und Wiesen gluckst. Irgendwann verliere ich den Bach aus den Augen, marschiere unter dem Autobahngewirr beim Heizkraftwerk Aubrugg mit seinem riesigen weissroten Kamin vorbei, finde den Brüelbach wieder, der sich ebenfalls irgendwo unter der Autobahn durchgequetscht hat. Und lande schliesslich dort, wo die Glattalbahn-Bibergeschichte ihren Ursprung hat. Hier beim Bahnübergang und der kleinen Brücke am schmächtigen Bächlein aber ebenfalls keine Biberspur. Schliesslich erreiche ich bereits auf Opfiker Boden die Stelle, wo der Brüelbach in die Glatt mündet. Meine Bibersafari hat ein eher enttäuschendes Ende gefunden.

Das will dem Journalisten nicht in den Kopf. Urs Wegmann, Leiter der Biberfachstelle des Kantons Zürich, führt mich zum ersehnten Ort. An einer versteckten Stelle am Brüelbach liegt ein kleines Gehölz, wo unweit von Industrie und Riesenverkehr der Biber aus Ästen und Lehm seinen Damm gebaut hat. Biber bauen Dämme, um ein Gewässer genügend hoch zu stauen, damit sie flussaufwärts in der Uferböschung ihren Bau mit einer im Wasser verborgenen Zugangsröhre buddeln können. Da dieser Biberdamm vor ein paar Monaten den Bach jedoch mehr als einen Meter hoch staute und das angrenzende Land zu überschwemmen drohte, musste die Gemeinde Wallisellen dem wackeren Tier mit einer Entlastungsröhre eine aquatische Obergrenze setzen. Wo der Biber in Dammnähe nun seine Wohnhöhle hat, weiss selbst der Biberfachmann nicht. Das Schlachtfeld von gefälltem und abgenagtem Holzzeug lässt aber auf lebhafte Nahrungs- und Bauholzbeschaffung schliessen.

Dass die Glattalbahn nicht nur mit dem Biber zu tun hat, zeigt eine Episode aus der Baugeschichte. Beim Bau der Bahnlinie mussten vor zehn Jahren zwischen Lindberghplatz und Bahnhof Glattbrugg die SBB-Linien mit einem Tunnel unterquert werden. Da sich dort aber just ein Reptilienstandort von kantonaler Bedeutung befindet, kam nur eine schonende Bauweise in Frage. Geschützt werden mussten vor allem die seltenen Zauneidechsen. So schuf man schon vor den Bauarbeiten entlang dem SBB-Trassee Ersatzunterschlüpfe. Auf dem Dach des schliesslich gebauten Margarethentunnels schichtete man als künstliche Reptilienbehausungen eine lange Reihe von Stein- und Totholzhaufen auf. Die laufende Kontrolle dieser Ökonische zeigte schon bald einen gesunden und wachsenden Bestand an Zauneidechsen.

 

Dies ist eine von 25 «Gute-Fahrt-Geschichten» rund um die Gemeinden des VBG-Marktgebiets. Die Texte wurden von verschiedenen Schweizer Autorinnen und Autoren zum 25 jährigen Bestehen der VBG verfasst und sind unter dem Titel «Unterwegs» auch in Buchform erschienen.

(Die in den Texten geäusserten Meinungen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der VBG. Teilweise sind die Geschichten auch frei erfunden.)

#Ausflüge & Freizeit#Gute-Fahrt-Geschichten
Herbert Cerutti

Herbert Cerutti war bis zur Pensionierung Wissenschaftsredaktor bei der Neuen Zürcher Zeitung und bechrieb im NZZ Folio jahrelang die wundersame Tierwelt. Er lebt mit seiner Katze in Maseltrangen.

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