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Von der Fitnesstrainerin zur Busfahrerin

Martina Heim aus Oberhasli fährt seit vier Jahren für die VBG mit dem Bus durchs Glattal. Die 60-jährige kontaktfreudige ehemalige Fitnesstrainerin hat damit ihren Traumberuf gefunden.

Interview von Roger Suter, Stadt-Anzeiger Opfikon.

Martina Heim, warum fahren Sie Bus?
Ich war auf der Suche nach einer neuen, einigermassen krisensicheren Stelle, die nicht durch Digitalisierung bald wieder abgebaut wird. Und ich hatte ein «gutes Näschen», als ich 2018 die Busprüfung absolviert habe; zwei Jahre später kam ja der Corona-Lockdown.

Was haben Sie vorher gearbeitet?
Ich war in der Fitnessbranche, als Trainerin und an der Reception. Ursprünglich komme ich aus dem Coiffeurgewerbe. Nach Heirat und der Geburt meiner Kinder arbeitete ich an verschiedenen Orten Teilzeit. Und weil man da nach einem Unterbruch schlecht wieder einsteigen kann, habe ich mir etwas ganz Neues aufgebaut. Ich wusste, dass es im ÖV immer Leute braucht, und ich habe mir das zugetraut. Und ich bereue es nicht: Es ist ein megaspannender Beruf.

…mit sehr unregelmässigen Arbeitszeiten.
Wir fahren drei Schichten, Früh-, Mittel- und Spätschicht. Die erste beginnt um 4.25 Uhr und die letzte dauert bis 1 Uhr morgens. Wir haben Männer, die nur Spätschicht fahren wollen, so teilen wir anderen uns die Früh- und Mittelschicht auf. Aber natürlich springt man auch mal für eine Spätschicht ein.

«Wir Frauen bieten weniger Angriffsfläche. Die männlichen Kollegen bekommen da mehr ab.»

Wie bringt man da Familien- und Berufsleben unter einen Hut?
Alles hat Vor- und Nachteile. Gerade Männer, die Spätschicht fahren, können sich tagsüber Zeit für ihre Kinder nehmen. Oder diejenigen der Frühschicht sind am Nachmittag zu Hause. Mehrere Schichten mit längeren Pause dazwischen haben wir vielleicht einmal in der Woche. Aber es ist halt Schicht- und Wochenendarbeit. Ohne kleine Kinder geht das. Zwei meiner Kinder sind erwachsen, die jüngste gerade fertig mit der Lehre. Dafür habe ich auch mal unter der Woche frei.

Braucht man nicht extrem starke Nerven, den ganzen Tag im Verkehr auf der Strasse?
Das schon, wie jeder weiss, der Auto fährt. Wir werden aber stetig entsprechend geschult, in jährlichen und obligatorischen CZV-Kursen (Chauffeurzulassungsverordnung). Dort kommen auch Themen wie Stress, Aggression, Umgang mit Kunden vor – im öffentlichen Dienst sind wir oft Prellbock für Leute, die mit sich und dann auch mit allem anderen unzufrieden sind. Dank unserer professionellen Ausbildung gelingt das meist sehr gut.

Spielt das Geschlecht dabei eine Rolle?
Ich denke schon: Wir Frauen bieten irgendwie weniger Angriffsfläche. Die männlichen Kollegen bekommen da mehr ab.

Hören Sie auch mal Positives?
Wir haben schöne Feedbacks von den Kunden. Wenn wir unseren Job gut machen, spürt man das von den Fahrgästen. Manche sagen es uns, wie mir Kolleginnen bestätigen. Vor etwa zwei Monaten fuhr ich in der Dämmerung die Linie 797, Rümlang Bahnhof Richtung Oberhasli. Der Bus war voll, und am Ende kam ein Fahrgast zu mir und sagte: «Mit Ihnen zu fahren, ist wie Musik. Sie gehen frühzeitig vom Gas, bremsen feinfühlig, fahren sanft um die Kurven wie Ballett. Es tut gut, mit Ihnen zu fahren.»

Gibt es eine Zeit, zu der Sie besonders gern fahren?
Ja, nach der Rushhour, wenn es ruhiger ist. Dann hat man auch mal Zeit für Auskunft, die Leute sind weniger gestresst. Das Fahren im weniger dichten Verkehr ist entspannter.

Welche Linie fahren Sie am liebsten?
(Ohne zu zögern) 759, die Innovationslinie vom Flughafen nach Dübendorf. Sie führt von der Stadt aufs Land. Da hat man morgens diejenigen, die arbeiten gehen, tagsüber jene, die «pöschtelen». Es ist die längste Linie und die abwechslungsreichste, auch mit neuen Bussen und Einrichtungen. Und nach dreimal hin und her ist die Schicht zu Ende. Oder Linie 787, von Oerlikon via Glatt nach Brüttisellen, ist auch sehr schön.

«Das Fahren im weniger dichten Verkehr ist entspannter.»

Beschreiben Sie einen Arbeitstag.
Für die Frühschicht kommt man mit dem Privatauto – es fährt ja noch kein Bus – und meldet sich mit dem eigenen Fahrausweis an. Somit hat die Firma Gewähr, dass man fahren darf. Wir müssen uns auch privat sehr seriös verhalten. Mindestens 10 Minuten vor Abfahrt meldet man sich mit der Personalnummer im Bus an, richtet seine persönliche Kasse ein und kontrolliert den Bus rundherum: Licht, Pneus, Tankfüllung, Schäden. Das macht man auch bei einem Buswechsel.
Erst wenn alles in Ordnung ist, fahren wir los zur ersten Haltestelle. Dort stellt dann unsere Dienstplan-Software automatisch von Dienst- auf Passagierfahrt um. Nach spätestens viereinhalb Stunden haben wir Pause; der Kollege, der uns ablöst, kommt mit dem Dienstfahrzeug – einem elektrischen Renault – und wir fahren damit zurück ins Depot, zum Flughafen oder ins Glatt, je nachdem, wo die Pause vorgesehen ist. Meist wechseln wir danach auf eine andere der 14 Linien, die wir von Eurobus Bassersdorf aus fahren. Das ist abwechslungsreich.

Fahren Sie «nur» oder gehörten auch andere Aufgaben dazu, wie tanken, reinigen und Ähnliches?
Wenn der Bus nach der Schicht ins Depot geht, tanken wir ihn, füllen zweimal die Woche Adblue ein (senkt mittels Katalysator den Ausstoss schädlicher Stickoxide, Anm. d. Red.) und fahren ihn auch gleich durch die hauseigene Waschanlage. Wer will, darf ihn aber auch jeden Tag waschen (lacht). Danach zeigt einem die Software, auf welchen Platz man den Bus stellen soll, damit er für die nächste Schicht bereitsteht. Über Nacht werden die Busse zudem ans Stromnetz angeschlossen.

«Wir haben ja kein Navigationssystem, sondern müssen alle Strecken auswendig kennen.»

Wann wissen Sie, wo Sie fahren?
Die Dienstpläne erhalten wir meist zwei Monate im Voraus und können sie direkt auf dem Handy einsehen. Meine Arbeitgeberin, die Eurobus Welti-Furrer AG, ist sehr strukturiert, ohne starr zu sein, und trotzdem familiär. Wir können die Disponenten jederzeit und unkompliziert für einen Wechsel fragen. Das ist toll und nicht selbstverständlich.

Gibt es mehr Männer oder Frauen, die hier Busse fahren?
Die Frauenquote ist noch immer relativ tief: Von 100 Mitarbeitenden sind wir nur 10 Frauen. Die Fahrgäste hätten aber gern Frauen am Steuer. Gerade jetzt wird eine neue Kollegin eingeschult, die bei der Post gearbeitet hat. Ihre Stelle wurde abgebaut, die anschliessenden Bürojobs haben ihr nicht gefallen. Da hat sie mich gefragt, wie das bei uns so sei – und nun hat sie die Busprüfung bestanden.

Wie lernt man den Job als Buschauffeurin?
Neben der eigentlichen Busprüfung und den erwähnten CZV-Kursen folgt während dreier Wochen die «Linienführung». Da lernen die neuen Mitarbeiter nach der Theorie über Kasse, Software und dem Anpassen der Uniform auch unsere Linien in und um Zürich kennen. Wir haben ja kein Navigationssystem, sondern müssen alle Strecken auswendig kennen.
Quartierbusse zweigen mal rechts und mal links ab. Allein die Linie 787 hat etwa 21 Haltestellen und das mal 14. Das ist am Anfang ziemlich viel. Zu Beginn fährt ein «Götti» mit den «Frischlingen» jede Linie teilweise mehrmals ab, zuerst ohne, später dann mit Fahrgästen. Ich hatte abends jeweils so einen Kopf (Martina Heim macht eine ausladende Geste) und bin auch mal eine Linie mit dem Privatauto abgefahren, um sicher zu sein.

Was braucht es neben dem technischen Know-how?
Es braucht Freude am Kontakt mit Menschen, den Fahrgästen – unseren Kunden, die man auch so behandeln sollte. Wer mit Freude fährt, bekommt auch Freude zurück – auch kleine Dinge wie das Lächeln eines Fussgängers, dem man den Vortritt gewährt hat. Das Wichtigste ist, die Leute pünktlich und vor allem sicher von A nach B zu bringen.

«Wer mit Freude fährt, bekommt auch Freude zurück.»

Wie sehr stresst Sie der Verkehr?
Schimpfen bringt nichts ausser Stress. Die Autofahrer sind das eine. Man fährt aber auch auf Tramtrassen, begegnet schnellen Elektro-Bikes, E-Trottinetts, die wie Geschosse auftauchen. Man muss Ruhe bewahren und geistig immer präsent sein. Man entwickelt ein Auge dafür, gefährliche Situationen früh zu erkennen.
Aber gerade gestern ist mir das Herz kurz in die Hose gerutscht: Ich fuhr in Seebach, auf dem Tramgleis, wie immer wachsam, weil die meisten Autolenker abbiegen, ohne sich umzusehen. Ich hatte Grün, fahre Richtung Felsenrain los, als ein E-Trotti bei Rot von links vor meinen Bus fährt und 2 Meter vor mir stoppt. In solchen Augenblicken müssen wir schnell entscheiden: Vollbremsung und verletzte Passagiere riskieren oder Blechschaden verursachen? Wenn draussen Menschen direkt in Gefahr sind, bremsen wir immer sofort.

Was passierte dann?
Es hat gereicht, aber wir sind alle erschrocken: Ich, der Trottinettfahrer noch mehr, und ebenso die Passagiere, die das meist gar nicht mitbekommen. Ich bin dann bis zur Haltestelle weitergefahren, aufgestanden und habe mich nach dem Befinden der Fahrgäste erkundigt. So eine Situation ist der Horror jedes Chauffeurs.

Wie haben Sie danach geschlafen?
Gut. Wir sind Profis, wissen damit umzugehen. Wenn ich die Uniform ablege, kann ich gut abschalten. Aber meiner Jüngsten, der 19-jährigen Tochter, musste ich es doch auch erzählen.

Hatten Sie schon einen Unfall?
Noch nie mit Menschen; ich kann mich in meinen vier Jahren hier auch an keinen anderen Fall erinnern. Mal ein Rückspiegel auf einer engen Umleitung, das passiert schon. Wir sind auch nur Menschen.

«Sobald du im Bus sitzt, musst du umschalten. Routine ist der grösste Feind.»

Was tun Sie, um sich zu entspannen?
Ich gehe mit meinen Hunden in den Wald spazieren. Früher ging ich gern in die Stadt zum Einkaufen. Das kann ich nun in den Pausen erledigen; wenn ich heute frei habe, geniesse ich die Natur. Überhaupt ist es von Vorteil, in der Nähe zu wohnen. So brauche ich nach einem langen Tag nur noch 13 Minuten bis Oberhasli.

Was war Ihr schlimmstes Erlebnis?
(Überlegt kurz, und fängt an zu lachen.) Jetzt kann ich lachen, aber damals bin ich heulend zum Chef gerannt. Ich kam im Sommer vor einigen Jahren zur Frühschicht, machte die erwähnten Kontrollen, fuhr aus dem Depot und lenkte zu früh ein – ich dachte wohl, ich sitze noch im kleinen PW statt im langen Bus. So habe ich mit dem Überhang die Mauer beim Depot erwischt. Ich spürte es und sah im Rückspiegel, wie die Mauer in sich zusammenstürzte. Am liebsten wäre ich heimgegangen, doch ich musste ja meine Schicht fahren. Danach hat mich mein Chef beruhigt und gemeint: «Sobald du im Bus sitzt, musst du umschalten. Routine ist der grösste Feind.»

Was war das schönste Buserlebnis?
Davon habe ich viele, fast jede Woche. Einmal hat mir eine Frau sogar Schoggi geschenkt, ein andermal kam ein netter Brief über meinen Fahrstil und die Freundlichkeit an die VBG. Aber für mich ist das irgendwie normal.

 

Quelle und Copyright: Roger Suter, Stadt-Anzeiger Opfikon (Original veröffentlicht in der Ausgabe vom 6. Januar 2022).

#Geschichten aus der VBG-Welt#Hinter den VBG-Kulissen

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